9

 

„Aber wer ist denn dann in deinem Zimmer gewesen, wenn Raphael es nicht war?“, fragte Roxy am späten Morgen, als wir die letzten warmen Strahlen der Oktobersonne genossen.

„Ich weiß es nicht genau.“

„Aber du hast eine Idee?“

„Möglicherweise.“ Über diese Idee wollte ich allerdings nicht sprechen. Sie war ziemlich widerlich.

„Gut, darauf kommen wir gleich noch mal zurück.“

Roxy zeigte mit ihrem dick mit Butter und Marmelade bestrichenen Brötchen auf mich. Ich dachte mit Sorge an ihren Stoffwechsel, bevor ich mich meinem trockenen Toast und dem Obst auf dem Tisch zuwendete. „Zuerst will ich hören, wie es weitergegangen ist.“

Ich runzelte die Stirn. „Wie es weitergegangen ist?“

„Du weißt schon!“ Sie klatschte noch einen großen Löffel Marmelade auf ihr Brötchen.

„Davon bekommst du Diabetes“, prophezeite ich ihr missbilligend, doch sie grinste nur und leckte sich die Finger ab. „Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, erklär es mir bitte mit einfachen Worten!“

„Ich meine das, was vergangene Nacht passiert ist, nachdem Raphael sagte, er könne dich nicht zurückweisen. Habt ihr ... du weißt schon ... oder habt ihr geredet oder bist du aufgestanden und hast ihm freundlich eine gute Nacht gewünscht, bevor du den Rest der Nacht selbst Hand angelegt und dir dabei vorgestellt hast, er wäre es?“

„Roxanne!“, rief ich empört aus und verschluckte mich an meinem Toast. Ich hustete und prustete, bis mir die Tränen in den Augen standen, und nahm rasch einen kleinen Schluck Kaffee.

„Ich habe ja nicht gesagt, dass du es dir selbst gemacht hast, ich habe dich nur gefragt, ob.“

Ich hatte es nicht getan, obwohl ich durchaus daran gedacht hatte. „Nein, das habe ich nicht - nicht, dass es dich etwas anginge! Und es geht dich ebenso wenig etwas an, was ich mit Raphael gemacht habe und was nicht. Du kannst aber sicher sein, dass ich dir nichts Wichtiges vorenthalte.“

„Ich wusste, dass du nicht zum Zug gekommen bist“, entgegnete Roxy scheinheilig und leckte die Marmelade vom Buttermesser ab. „Du bist morgens immer so griesgrämig, wenn du frustriert bist.“

Ich schenkte dieser Bemerkung die Aufmerksamkeit, die sie verdiente - nämlich gar keine.

„Also, wenn es nicht Raphael war, der dir früher am Abend Blut abzapfen wollte, wer sind dann die Hauptverdächtigen?“

Ich schenkte mir noch eine Tasse Kaffee ein, lehnte mich zurück und genoss die warmen Sonnenstrahlen. Da es fürs Frühstück schon recht spät war, befanden wir uns allein in dem kleinen Speisesaal.

„Ich weiß es nicht, Rox, und das ist das Problem.

Wie mir scheint, kommen nur wenige in Betracht.“

„Also, ich glaube immer noch, dass es Raphael ist“, entgegnete sie und nahm genüsslich schlürfend einen Schluck von ihrem heißen Kakao. Nachdem sie sich die Schlagsahne von der Oberlippe geleckt hatte, fügte sie hinzu: „Aus irgendeinem Grund will er nur nicht, dass du weißt, dass er es ist. Wir müssen diesen Grund herausfinden und dann kannst du ihm sagen, er soll die Spielchen sein lassen und mit Schritt vier weitermachen.“

„Das ergibt keinen Sinn“, sagte ich und spielte mit den Resten meines Frühstücks herum. „Hast du je von einem Vampir gehört, der seine Auserwählte belügt?“

Sie runzelte nachdenklich die Stirn. „Hmm. Da ist was dran.“

„Nein, also ich glaube ...“ Ich nagte an meiner Unterlippe und dachte an den vergangenen Abend. „Ich glaube, Raphael sagt die Wahrheit. Es fühlte sich beim ersten Mal auch nicht so an, als wäre er es.“

„Aber du hast doch gesagt, du hast seine Augen gesehen und wie er im Flur stand, bevor er durch die geschlossene Tür kam - was natürlich ein ziemlicher Hammer ist, das muss ich schon sagen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, ich sagte doch, ich konnte mich nicht bewegen, nicht einmal die Augen öffnen. Was ich gesehen habe, war vielleicht nur Einbildung. Möglicherweise habe ich mir nur vorgestellt, dass ich Raphael in meinem Zimmer sehe und dass er mich berührt.“

„Aber wer war es dann?“, fragte sie zum dritten Mal. Ich sah sie hilflos an.

„Okay, gehen wir systematisch vor!“ Sie holte einen Block aus der Tasche und begann zu schreiben.

„Erstens: Du sagst, der Dunkle ist nicht Raphael.“

Ich nickte. „Zumindest war der, der gestern Abend in meinem Zimmer war, nicht Raphael. Ich dachte, er wäre es, aber als er mich küsste, habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmte und er es nicht sein konnte.“

„Tja, aber da es ausgeschlossen ist, dass mehrere Vampire auf dieselbe Frau Anspruch erheben, müssen die ersten Visionen, die du hattest, auch von unserem geheimnisvollen Unbekannten ausgelöst worden sein und nicht von Raphael.“

Ich nickte, dann schüttelte ich den Kopf, dann nickte ich erneut.

„Was denn jetzt?“, fragte Roxy und nuckelte an der Verschlusskappe ihres Stifts.

„Ich weiß nicht - mir kam es an unserem ersten Abend in der Schänke so vor, als sei es Raphael gewesen. Ich habe gespürt, wie er näher kam und wie er trank, und dann Peng!, stand er plötzlich mit Dominic in der Tür.“

Roxy tippte sich mit dem Stift gegen das Kinn, bevor sie die nächste Notiz machte. „Okay, das ist Punkt zwei: Wer ist mit oder kurz nach Raphael gekommen?“

„Dominic“, sagte ich. „Aber er ist kein Vampir, das weiß ich. Das spüre ich!“

Sie grinste und legte den Kopf schräg. „Du hast es innerhalb kürzester Zeit sehr weit gebracht, das muss man schon sagen. Früher hieß es: ,Oh nein, Roxy, es gibt kein Vampire!', und jetzt kannst du sogar schon spüren, ob jemand ein Vampir ist oder nicht. Als Nächstes glaubst du wahrscheinlich auch noch an Kobolde und an das Ungeheuer von Loch Ness.“

Mir war gar nicht zum Lachen zumute. Es war ja schließlich mein Hals, der finstere Vampire von nah und fern anlockte. „Das ist eine ernste Angelegenheit, Roxy.“

„Nichts ist so ernst, dass man sich nicht ein bisschen auf Kosten seiner besten Freundin amüsieren könnte! Wenn es nicht Dominic ist, wer dann? Wen hast du kennengelernt, seit wir hier angekommen sind?“

„Tanya und Arielle“, zählte ich an meinen Fingern ab, „aber da sie Frauen sind, passen sie nicht ins Schema. Dann natürlich Dominic und Raphael, aber die haben wir ja schon von der Liste gestrichen.“

„Du vielleicht“, sagte Roxy. „Ich warte, bis ich einen handfesten Beweis habe.“

Ich ging nicht weiter darauf ein. „Dann ist Christian aufgetaucht ...“

Ich sah Roxy an. Sie zog die Augenbrauen hoch und tippte mit dem Stift gegen ihre Lippen. „Nee, kann nicht sein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Er hat mit uns zu Abend gegessen. Und war er nicht schon in der Schänke, lange bevor Dominic und Raphael kamen?“

Ich schloss die Augen, um mich besser erinnern zu können. „Ich glaube schon - ja, ich weiß noch, wie er sich mit einem Glas Wein in der Hand zu Leuten an den Tisch gesetzt hat, von denen zwei Schach spielten.“

„Gut. Dann kommt Christian auch nicht infrage.“

„Obwohl er gestern Abend einfach so verschwunden ist“, bemerkte ich.

„Verschwunden? Nein, er musste nur mal zur Toilette. Ich bin ihm begegnet, kurz nachdem du gegangen bist. Er hat noch seinen Wagen umgeparkt und dann sind wir zusammen gewesen, bis ihm die Musik auf die Nerven ging.“

Ich verzog das Gesicht, denn ich war kein Fan von Musik, die nur um der Lautstärke willen laut war.

„Das kann ich ihm nicht verdenken. Waren die Bands so schlecht?“

„Grauenhaft“, entgegnete Roxy und nagte an ihrem Stift. Sie schaute auf den Block. „Wer bleibt uns dann noch? Hast du sonst noch jemanden gesehen, der ein Vampir sein könnte? Der Wirt?“

Ich schüttelte den Kopf, sah aus dem Fenster und beobachtete ein paar Krähen, die auf einem Baum saßen und an einigen hängen gebliebenen faulen Äpfeln herumpickten. „Und wenn ich diesen Dunklen gar nicht unmittelbar nach den Visionen gesehen habe? Vielleicht musste er mir gar nicht so nah kommen, vielleicht genügte es schon, dass er sich irgendwo im Umkreis des Hotels aufhielt?“

„Hmm“, machte Roxy nachdenklich. „Ich glaube, in den Büchern gibt es keinen Hinweis darauf, dass er genau am selben Ort sein muss wie du. Ich habe aber schon mehrmals von Vampiren gelesen, die wussten, dass ihre Auserwählte sich ihnen nähert, bevor sie es wirklich tat, also wäre es denkbar. Aber wenn es so wäre, wer könnte es dann sein?“

„Es gibt nur einen Mann, den wir gestern Abend noch gesehen haben und der, wie ich leider sagen muss, schrecklich gut ins Vampirschema passt.“

Roxy starrte mich an. „Wer?“

„Milos.“

„Milos? Ach, Milos. Findest du?“

Ich nickte. „Das finde ich. Hast du seine Augen gesehen? Die sind ausdruckslos, total leer, als wäre überhaupt nichts dahinter! Er bereitet mir solch ein Unbehagen, da reicht Dominic nicht einmal ansatzweise heran.“

„Aber, aber! Joy, wir reden hier von deinem Vampir! Von deinem Traummann, von dem Miranda gesagt hat, dass du ihn hier finden würdest. Er ist dein Seelenverwandter, deine bessere Hälfte!“

„Also, ich will ihn nicht“, sagte ich missmutig. „Ich will Raphael. Er ... er ist der Richtige. Er riecht richtig und fühlt sich richtig an und schmeckt weiß Gott richtig.“

Sie sah mich entsetzt an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Du kennst den Mann doch kaum! Wie kannst du mir sagen, dass du ihn willst, wo du ihn gerade erst kennengelernt hast?“

Ich gab der Kellnerin Bescheid, dass sie abräumen konnte. „Du warst total begeistert davon, dass ich die Auserwählte eines Vampirs sein könnte, aber weil Raphael jetzt doch nicht zu den blutsaugenden Wesen der Nacht gehört, wirfst du mir plötzlich vor, dass ich die Dinge überstürze?“

„Klar doch!“ Roxy schnaubte. „Jeder weiß, dass man für immer und ewig die Gefährtin eines Vampirs bleibt, aber eine Beziehung mit einem ganz normalen Mann ... die kann doch schneller in die Brüche gehen, als du gucken kannst!“

„Eines Tages komme ich dir auf die Schliche, Roxy, und dann wird dir das alles noch sehr leidtun!“

Sie grinste mich nur an. „Also, dann haben wir Milos als möglichen Kandidaten, Christian tritt bei der Konkurrenz nicht an, und Dominic und Raphael sind mögliche, aber unwahrscheinliche Kandidaten. Dann sollten wir im nächsten Schritt die möglichen Kandidaten einen nach dem anderen ausschließen.“

„Und wie machen wir das?“, fragte ich misstrauisch.

„Ganz einfach!“, entgegnete sie, stand auf und streckte sich, bevor sie ihre Jacke nahm. „Wir wagen uns in die Höhle des Löwen. Oder besser gesagt, in den Unterschlupf des Vampirs.“

„Ich komme mir total blöd vor“, sagte ich eine halbe Stunde später, als ich mit Roxy um den Wohnwagen herumschlich, in dem Raphael wohnte, wenn er mit dem Markt unterwegs war. „Ich weiß, dass Raphael kein Vampir ist.

Dafür muss ich ihn nicht schlafend sehen.“

„Doch, das musst du. Es gibt da nämlich für meinen Geschmack noch zu viele Verdachtsmomente.“ Sie versuchte, die Wohnwagentür zu öffnen. Sie war abgeschlossen. Ich seufzte erleichtert.

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel schläft er tagsüber und ist die ganze Nacht auf.“

„Das gilt für alle, die auf dem Markt arbeiten“, erwiderte ich.

„Außerdem hast du gesagt, du hast gesehen, wie er sein Bier weggeschüttet hat, und er hat noch nie in unserer Gegenwart gegessen. Normale Nahrung, meine ich. Eine von uns beiden hat möglicherweise miterlebt, wie er etwas anderes zu sich genommen hat.“ Roxy sah mich vielsagend an, bevor sie anfing, in ihrer großen Tasche herumzukramen. „Ah ... geh einmal um den Wohnwagen und pass auf, dass uns niemand sieht, okay?“

„Warum?“, fragte ich argwöhnisch. „Die Tür ist abgeschlossen, also können wir nicht rein. Was wollen wir dann noch hier? Und was suchst du denn die ganze Zeit?“

„Kaugummi. Und jetzt mach! Ich will nicht, dass uns hier jemand erwischt.“

Ich murmelte vor mich hin, was ich am liebsten wollte, gab aber nach und schlich nervös um den Wohnwagen, um sicherzugehen, dass uns niemand beobachtete. Außer ein paar Elstern am Himmel war weit und breit nichts zu sehen bis auf herbstlich gefärbte Blätter, die der Wind vor sich hertrieb, und ein bisschen Unrat, der aus den Mülltonnen gefallen war. Aus der Zeltstadt war das ominöse Brummen eines Generators zu hören.

„Roxy, das ist albern“, flüsterte ich meiner Freundin zu, als ich den Rundgang beendet hatte. „Du stützt deinen Verdacht auf zwei dürftige Indizienbeweise.“

„Wir haben noch mehr“, entgegnete Roxy mit der Hand am Türgriff. „Weißt du noch, wie Raphael reagiert hat, als er dich mit Christian erwischt hat?

Du hast gesagt, er war ziemlich wütend.“

Ich rief mir die Situation in Erinnerung. Wut war eine recht unzulängliche Bezeichnung für das, was ich mitempfunden hatte. Ich zuckte die Schultern. „Da war kein Unterschied zu den Visionen, die der Vampir mir aus der Ferne geschickt hat. Vielleicht konnte er sehen, was ich sah, und wurde wütend auf Christian. Ich weiß zwar nicht, wie so etwas möglich ist, aber ich weiß ganz sicher, dass wir hier nur unsere Zeit verschwenden. Die Tür ist abgeschlossen, also hauen wir ab!“

Roxy grinste, als das Schloss mit einem Klicken aufsprang. „Ich habe den Griff wohl nicht fest genug runtergedrückt.“

Ich fiel aus allen Wolken und wetterte los, allerdings im Flüsterton, um den Bewohner des Wohnwagens nicht zu wecken. „Roxanne Mathilda Benner, wenn ich auch nur geahnt hätte, dass du deine Dietriche in ein fremdes Land mitnimmst und Raphaels Schloss knackst, hätte ich ... „

„Aber, aber“, versuchte sie mich zu beruhigen. „Raphaels Schloss zu knacken ist allein dir vorbehalten, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Das tue ich und das habe ich nicht gemeint, wie du nur zu gut weißt. Einbruch ist...“

„Psssst!“, machte sie, stieß die Tür auf und ging die drei Stufen hoch, um in den Wohnwagen zu spähen.

„Die Luft ist rein!“, raunte sie mir zu, bevor sie im Inneren verschwand. „Komm schon!“

Ich überlegte, ob ich aus ethischen Gründen nicht nachgeben und draußen stehen bleiben sollte, doch allein die Vorstellung, dass Roxy in dem kleinen, engen Wohnwagen ganz allein mit Raphael war, machte mich rasend eifersüchtig. Ich stieg leise die drei Stufen hoch und zuckte zusammen, als der Wohnwagen unter Roxys Schritten knarrte. Es war stockdunkel darin bis auf die Lichtstrahlen, die durch die offene Tür hereinfielen, als ich über die Schwelle trat.

„Rox?“ Ich erstarrte, weil ich nichts mehr sehen konnte, nachdem sie die Tür schloss.

„Direkt hinter dir“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Ich glaube, das Bett ist am anderen Ende. Geh einfach geradeaus, bis du zu einer Tür kommst.“

„Leichter gesagt als getan“, murmelte ich und bewegte mich mit ausgestreckten Händen ganz langsam vorwärts. Das Einzige, was ich erkennen konnte, waren schwache Lichtstreifen zwischen den komplett heruntergelassenen Rollos und den Fensterrahmen. Ich knallte mit dem Schienbein gegen etwas Hartes, hielt mir fluchend das Bein, bis der schlimmste Schmerz vorbei war, und hinkte weiter.

„Wenn nicht schon Raphael uns wegen Einbruch und unbefugtem Eindringen festnehmen und ins Gefängnis stecken lässt, dann schwöre ich bei allem, was mir heilig ist, dass ich dich dafür drankriegen werde, Roxy!“

Ich wusste, dass sie grinste. Dafür brauchte ich kein Licht.

„Hauptsache, du vergisst nicht, dass ich unbedingt deine Brautjungfer sein will!“

Ich hinkte an einem Gegenstand vorbei, der sich anfühlte wie ein kleiner Resopaltisch, und zu meiner Rechten ertastete ich ein paar Schränke und eine Arbeitsfläche.

„Küche“, zischte ich Roxy zu.

„Gut. Die Tür zum Schlafraum ist geradeaus.“

Nach weiteren vier Schritten fanden meine ausgestreckten Hände die Tür. Sie war geschlossen.

„Wenn die Tür zum Schlafraum zu ist, könnten wir doch ein Rollo hochziehen und ein bisschen Licht hereinlassen“, schlug ich vor.

„Ts“, machte Roxy nur. „Und wenn er ein Vampir ist? Dann wird er gegrillt, sobald du die Tür öffnest! Willst du das riskieren?“

„Nein.“

„Das dachte ich mir. Bist du an der Tür? Mach sie auf und dann wollen wir mal sehen, ob er warmblütig ist und atmet oder ob er kalt und leblos ist.“

Ich verfluchte Roxy, während ich vorsichtig den Türknauf drehte und betete, dass die Tür abgeschlossen war.

Das war sie nicht.

„Und jetzt?“, flüsterte ich Roxy fast tonlos ins Ohr.

Sie gab mir einen kleinen Schubs Richtung Bett.

Dummerweise merkte weder sie noch ich, dass im Schlafraum nur Platz für das Bett war, für mehr nicht.

Als sie mich schubste, stieß ich mit dem Knie gegen die Matratze und stürzte.

Ich fiel auf zwei Beine und in diesem Moment ging das Licht in dem kleinen Raum an. Ich lag auf Raphaels Schienbeinen und starrte in den Lauf einer extrem gefährlich aussehenden Pistole.

„Ihr seid die lausigsten Einbrecher, die mir je begegnet sind“, sagte er nüchtern und steckte die Pistole wieder unter sein Kopfkissen. Ich murmelte mit hochrotem Kopf eine Entschuldigung, rappelte mich auf und hoffte wider besseres Wissen, ihm irgendwie erklären zu können, was wir bei ihm zu suchen hatten. In diesem Moment fiel mein Blick auf Roxy.

Sie stand in der Tür und starrte Raphael an. Ich wollte wissen, warum ihr derart die Augen aus dem Kopf quollen, und drehte mich um. In diesem Moment fiel mir die Kinnlade herunter.

Raphael lag ausgestreckt in seiner ganzen Pracht auf dem Bett - mir fehlten die Worte, um eine derartig männliche Anmut zu beschreiben -, und zwar absolut, total und vollkommen nackt. Ich verschlang ihn mit meinen Augen und genoss den Anblick seines herrlichen Körpers. Von den Zehen (hübsche lange, schlanke Füße) arbeitete ich mich hoch zu den strammen Waden und den höchst muskulösen Oberschenkeln, um einen langen Moment bei dem Teil von ihm zu verweilen, nach dem urplötzlich viele Teile von mir verlangten. Ich schluckte bestimmt ein paar Liter Speichel hinunter, um nicht hemmungslos herumzusabbern, und lenkte meinen Blick auf seinen Bauch, wo unterhalb seines Nabels ein Tattoo prangte. Es war ungefähr so groß wie ein 50-Cent-Stück und bestand aus einer Sonne, von der wellenförmige Strahlen ausgingen. So etwas hatte ich noch nie gesehen, und obwohl ich kein Fan von Tattoos war, leckte ich mir unwillkürlich die Lippen. Ich riss meinen Blick davon los und ließ ihn über die breite Brust mit den hübschen Nippeln schweifen, die geradezu nach Aufmerksamkeit schrien, bevor ich Abstecher zu beiden Armen unternahm, die sehr muskulös waren, ohne übertrieben aufgepumpt zu wirken. Dann schaute ich in sein Gesicht und unsere Blicke kreuzten sich.

„Du Glückliche!“, sagte Roxy voller Ehrfurcht.

Ich stutzte.

„Soll ich mich umdrehen, damit du die andere Seite auch sehen kannst?“, fragte Raphael.

„Würdest du das tun?“, hauchte Roxy hoffnungsvoll.

„Nein, das würde er nicht“, fuhr ich sie an und schob sie von der Tür weg.

Sie drängte jedoch zurück und warf Raphael, der gerade aufstehen wollte, anzügliche Blicke zu. „Schön, dich zu sehen! Und das meine ich, wie ich es sage.“

„Roxy!“

Sie verrenkte sich erneut den Hals. „Das ist übrigens ein tolles Tattoo. Sexy!

Das macht die Frauen bestimmt total verrückt!“

„Roxy!“

„Tut mir leid. Ich setze mich jetzt hier hin, während du den Test durchführst.“

„Was für einen Test?“, fragte ich leise.

Sie machte eine Handbewegung, als ziehe sie ein Rollo hoch, dann drehte sie sich um und verschwand im dunklen Teil des Wohnwagens.

Ich sah Raphael an, der im Begriff war, sich eine Jeans anzuziehen. „Ich ... äh ... vermute, du wüsstest gern, was wir hier wollen.“

Er kratzte sich an der Brust und setzte sich ans Fußende des Betts. Ich hätte das Kratzen gern für ihn übernommen, doch die dunklen Ringe unter seinen Augen erinnerten mich daran, dass er, was oder wer auch immer er war, nur ein paar Stunden Schlaf gehabt hatte.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte ich und bereute zutiefst, dass ich mich von Roxy zu diesem idiotischen Unternehmen hatte überreden lassen. „Es ist nur so, dass gestern Abend ...“

Raphael musste gähnen und legte die Hand vor den Mund. „Was ist mit gestern Abend?“

„Also, gestern Abend ... nun, ich muss mich vergewissern, dass du derjenige bist, für den du dich ausgibst.“ Sein Rücken versteifte sich bei meinen Worten.

Ich sprach hastig weiter. „Nicht dass ich dir nicht glaube, aber wie Roxy sagte, ist es besser, auf Nummer sicher zu gehen, damit ich dich von der Liste streichen kann, und ... also ... das kann ich erst tun, wenn du mir erlaubst, die Rollos hochzuziehen.“

Er schüttelte den Kopf und rieb sich müde die Augen. „Ich verstehe das alles nicht, und am allerwenigsten verstehe ich, für wen du mich hältst. Wenn du mir also erklären könntest, warum ihr in meinen Wohnwagen einbrechen musstet, um mit mir zu reden, wäre ich dir sehr dankbar.“

Ich quetschte mich am Bett vorbei zum Fenster.

„Kann ich das Rollo einfach hochziehen?“

Er sah auf. „Warum? Habt ihr da draußen ein Kamerateam? Gehört ihr zu so einer Fernsehsendung, in der Leute reingelegt werden? Springt gleich ein Typ im Gorillakostüm aus meinem Schrank?“

„Nein, nein, ehrlich, es ist nichts dergleichen. Ich würde nur gern das Rollo hochziehen. Ist das okay?“

Er rieb sich wieder die Augen. „Mach, was du willst.“

Ich ergriff die Rolloschnur. „Bist du sicher? Es wird dir ... keinen Schaden zufügen?“

Er kniff die Augen zusammen. „Mir Schaden zufügen? Frau, ich glaube, ich verstehe dich immer weniger.“

Ich sah ihn abwartend an.

„Nein“, sagte er schließlich. „Es macht mir nichts.“

Ich zog an der Schnur und ließ die Sonnenstrahlen in den kleinen Schlafraum.

Raphael wurde in goldenes Licht getaucht und zog fragend die Augenbrauen hoch.

„Juhu!“, rief ich, hüpfte auf und ab und drehte mich vor Freude im Kreis. „Du bist kein Vampir! Du bist ein netter, normaler Mann mit netten, normalen Essgewohnheiten und kannst nicht in mein Bewusstsein eindringen!“

Raphael schüttelte seine herrlichen Locken. „Meiner geistigen Gesundheit zuliebe stelle ich meine Versuche, dich verstehen zu wollen, wohl am besten ein und mache mir keine Gedanken mehr.“

Damit packte er mich, zog mich aufs Bett und beugte sich über mich. Seine Brust drückte gegen meine und sein Mund war kussbereit.

„Hübsch“, sagte ich und konnte nicht aufhören zu grinsen, während ich seine Brust streichelte. „Ich mag Männer mit Haaren auf der Brust.“

„Seltsamerweise stehe ich wiederum auf Frauen, die Männer mit Haaren auf der Brust mögen“, entgegnete er grinsend.

„Und apropos Brust ... „ Er senkte den Kopf und schmiegte sein Gesicht in den Ausschnitt meiner Bluse.

„Hey! Das könnt ihr nicht machen! Ich bin schließlich auch noch da! Und ich kann alles sehen!“

„Mist, ich habe Roxy ganz vergessen!“

Raphael hob den Kopf und sah mich an. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie könnte man sie vergessen?“

„Das habe ich gehört!“

Ich erwiderte Raphaels Lächeln, und als er mich zärtlich küsste, öffnete ich bereitwillig meine Lippen und gewährte seiner Zunge Einlass. Seine Haut war ganz warm und weich, und ich ließ meine Hände über seine Rippen gleiten, um ihn zu umarmen und auf mich zu ziehen. Seine Zunge tanzte Tango mit meiner und brachte mich mit jeder Bewegung fast um den Verstand. Er stöhnte, als ich an seiner Zunge saugte und sie mit meiner zu umschlingen versuchte, um ganz mit ihm zu verschmelzen. Er schmeckte heiß, exotisch und männlich. Ich ließ meine Finger über seinen muskulösen Rücken nach oben gleiten und zeichnete die Konturen seiner breiten Schultern nach.

Seine Küsse waren der Himmel auf Erden, aber plötzlich genügten sie mir nicht mehr. Ich wollte mehr, ich wollte alles.

„Weißt du, wir kennen uns eigentlich kaum“, keuchte ich, als sein Mund sich von meinem löste und die empfindliche Stelle unter meinem Ohr erkundete.

„Das stimmt“, sagte er, bevor er an meinem Ohrläppchen knabberte, um unsere Beziehung gleich einmal zu vertiefen. Seine Hand glitt über meinen dicken Wollpullover und umfing meine linke Brust.

„Dein Herz rast ja förmlich.“

„Nicht nur mein Herz“, schnurrte ich, während Raphael sich einen Weg zu meinem Schlüsselbein küsste. Meine Hände wanderten über seinen herrlichen Rücken zu seinem Hintern. Auch in Jeans war es ein sehr schönes Exemplar. „Aber wir haben uns erst vor ein paar Tagen kennengelernt und man könnte auf die Idee kommen, dass wir die Dinge vielleicht etwas überstürzen.“

„Mmm.“ Er küsste sich auf der anderen Seite meines Halses wieder nach oben und entfachte kleine Feuer der Begierde in meinem ganzen Körper. „Findest du, wir überstürzen es?“

„Ich schon!“, rief Roxy von nebenan. „Hör nicht auf sie - ihr hast du als Vampir besser gefallen.“

Er hielt inne und eine kleine Falte erschien zwischen seinen wunderbaren Schokoladenaugenbrauen. Ich erlag der Versuchung und küsste sie nacheinander ab. Er ließ mich gewähren, dann sagte er: „Moment, eins nach dem anderen. Bedränge ich dich?“

Ich lächelte. „Nein. Es stimmt, dass wir uns nicht besonders gut kennen, aber das gibt der ganzen Sache doch einen gewissen Kick, findest du nicht? Sich gegenseitig zu entdecken, die Vorlieben und Abneigungen des anderen, seine Geheimnisse ...“

Raphael erstarrte bei dem letzten Wort, löste sich von mir und stützte sich stirnrunzelnd auf den Ellbogen. Ich streckte die Hand aus, um seine Denkfalten zu glätten, doch er hielt meinen Arm fest.

„Jetzt sprichst du schon zum dritten Mal von irgendwelchen Geheimnissen. Da du immer wieder darauf herumreitest, kann ich nur vermuten, dass du Informationen hast, über die du gern mit mir reden würdest.“

„Informationen? Was denn für Informationen? Du meinst das Geheimnis, von dem du gestern gesagt hast, ich hätte es aufgedeckt? Jetzt weiß ich, dass du kein Vampir bist, also kann es das nicht sein. Was verbirgst du dann vor mir?“

Er starrte mich einen Moment lang an, dann richtete er sich auf und setzte sich auf die Bettkante. Ich ließ mir etwas Zeit, um den Anblick seines Rückens zu genießen, dann setzte ich mich neben ihn.

„Versuch nicht, mit diesem Vampirgerede vom Thema abzulenken! Was weißt du über mich und was willst du mit diesem Wissen anfangen?“

Raphael war richtig zornig, was eigentlich keinem von uns beiden gefiel. „Ich lenke vom Thema ab? Und was ist mir dir? Raphael, ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest, wenn du sagst, ich wisse irgendetwas über dich. Abgesehen davon, dass du das Küssen offenbar bei den Besten gelernt hast und über eine außergewöhnliche ... äh ... körperliche Ausstattung verfügst, weiß ich gar nichts über dich. Ich weiß nur, dass ich dich wirklich mag und gern mit dir zusammen bin. Da hast du es, nun ist es raus! Bist du jetzt zufrieden?“

Er sah mir prüfend ins Gesicht, dann wandte er sich ab und rieb sich das Kinn. „Ich muss verrückt sein - das ist die einzige Erklärung. Ich bin verrückt geworden und niemand hielt es für nötig, mich darüber aufzuklären. Und jetzt lebe ich in einer verrückten Welt, in der mich schöne Frauen für einen Vampir halten und in Rätseln sprechen und an jeder Ecke versuchen, mich zu verführen.“

„Schöne Frauen?“, fragte ich und versetzte ihm einen Stoß. „Was für Frauen? Wir haben uns zwar gerade erst kennengelernt und ich verlange auch gar nicht von dir, dass du mich heiratest oder so, aber ich bestehe auf meinem Exklusivrecht. Ich habe nie gelernt, mein Spielzeug mit anderen zu teilen.“

„Ich habe von dir gesprochen“, erklärte Raphael und sah mich prüfend an.

„Oh. Also ... dann ist ja gut, obwohl ich klarstellen möchte, dass ich nicht an jeder Ecke versucht habe, dich zu verführen.“

„Nein“, pflichtete er mir bei, sah mich aber immer noch so komisch an. „Das hast du nicht. Ich nehme alles zurück.“ Er zögerte, dann schnitt er verlegen eine kleine Grimasse. „Du hast wirklich geglaubt, ich wäre ein Vampir?“

Nun war es an mir, verlegen zu sein. „Es war für mich die einzige mögliche Erklärung“, murmelte ich. Er legte einen Finger unter mein Kinn und sah mir in die Augen.

„Deshalb wolltest du letzte Nacht, dass ich dich beiße?“

Ich nickte und mein Gesicht brannte vor Scham. Ich war ein Idiot, ein Riesenidiot, aber Raphael konnte einen ja auch wirklich um den Verstand bringen.

Seine Mundwinkel zuckten, dann breitete sich ein sexy Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Und ich dachte, du stehst auf obskure Sexualpraktiken.“

Angesichts seines Grinsens hatte ich Mühe, Empörung vorzutäuschen. „Ich? Du dachtest, ich stehe auf solchen Kram? Mein Gott, nein, ich bin ziemlich spießig, was Sex angeht. Meistens jedenfalls.“

Seine Lippen berührten meine und ich hauchte die letzten Worte in seinen Mund.

„Wovor versteckst du dich, Raphael?“

Er erstarrte über mir.

„Bitte“, flüsterte ich und fuhr mit dem Finger über seine angespannten Gesichtszüge. „Deine Angst, dass irgendjemand etwas über dich herausfindet, ist offensichtlich. Ich will dir helfen, wenn ich kann. Du musst mir dein Geheimnis nicht verraten, sag mir nur, ob du irgendwie in Gefahr bist.“

Sein Blick verfinsterte sich. „Nein, das bin ich nicht“, sagte er und ich spürte seinen Atem auf meinen Lippen. „Ich ... es gibt da ein Problem mit meinem letzten Arbeitgeber, Joy. Ich kann dir nicht mehr darüber sagen, aber solange ich hier bin, ist alles gut.“

Ich nickte, denn ich verstand ihn besser, als er ahnte.

Er befürchtete, dass etwas aus seiner Vergangenheit ans Licht kam, und das war offenbar so schlimm, dass er sogar Angst gehabt hatte, ich wolle ihn erpressen. Ich ließ meine Hände über seine Arme gleiten. Seine Muskeln waren hart vor Anspannung - ein Zeichen dafür, dass sich sein Misstrauen nicht nur gegen mich richtete. Allem Anschein nach verdächtigte er jeden. Ich fragte mich, was das wohl für ein Vorfall gewesen war, der ihn dazu getrieben hatte, sich dieser herumziehenden Truppe anzuschließen.

Ihn dazu zu drängen, sich mir zu öffnen, würde nichts bringen, und so konnte ich nur versuchen ihm klarzumachen, dass ich keine Bedrohung darstellte.

Ich kitzelte mit der Zunge seine Mundwinkel und seufzte, als er darauf einging und sofort die Regie übernahm. Er küsste mich so leidenschaftlich, dass ich wünschte, Roxy wäre im Hotel geblieben.

„Fangt ihr schon wieder an? Also, Joy und ich, wir haben noch etwas vor und es wäre nett, wenn ihr zum Ende kommen könntet!“

„Sie hat recht“, murmelte ich und gab Raphael noch einen letzten Kuss. „Du brauchst deinen Schlaf und Roxy und ich haben wirklich noch etwas vor.“

„Was denn?“, fragte er, als ich aufstand und meinen Pullover zurechtzupfte.

Wir wollten als Nächstes Milos unter die Lupe nehmen, aber weil mich der Verdacht beschlich, dass Raphael das nicht gefallen würde, winkte ich nur ab.

„Ach, nichts Aufregendes. Ich glaube, wir wollten heute zu den Höhlen, nicht wahr, Roxy?“

Sie erschien in der Tür. „Zu den Höhlen, ja genau. Zu den Höhlen, so ist es.“

Raphael sah so aus, als glaubte er uns kein einziges Wort. Er schlang einen Arm um meine Taille und zog mich an sich, um mich ein letztes Mal zu küssen. „Wir sehen uns später“, wiederholte er meine Worte vom Vortag.

„Ja, wir haben noch etwas zu klären“, pflichtete ich ihm bei und es gelang mir nur mit allergrößter Anstrengung, mich von seinem warmen, Schutz bietenden Körper loszureißen. Rasch wandte ich mich ab und schob Roxy, die von einem Ohr zum anderen grinste, vor mir her zur Eingangstür.

Raphael schaltete das Licht im vorderen Teil des Wohnwagens ein, lehnte sich in den Türrahmen und sah uns nach. Ich blieb noch einmal stehen. „Diese Sache, deretwegen du dir Sorgen machst... Hast du deshalb eine Pistole unter dem Kopfkissen?“

Er schwieg eine Weile, doch dann nickte er, und in seinen Augen lag ein eigentümliches Funkeln. „Man weiß ja nie, wem es einfällt, unangemeldet hier hereinzuschneien!“

Ich nickte ebenfalls, winkte ihm noch einmal zu und zog die Tür leise hinter mir ins Schloss.

„Alles in Ordnung?“, fragte Roxy, als ich mich atemlos gegen die Tür lehnte und gierig die Luft in mich einsog, die mir seit Betreten des Wohnwagens weggeblieben war, wie es mir vorkam. „Der hat dir aber auch ein paar Küsse verpasst, was? Da habe ich ja schon rote Ohren bekommen, obwohl ich nicht mal beteiligt war.“

„Mmm“, machte ich, dachte jedoch nicht an Raphaels Küsse - an seine wundervollen, erregenden Küsse -, sondern an den Gesichtausdruck, als er mir unterstellt hatte, etwas über ihn zu wissen. War ich eigentlich noch bei Sinnen? Ich hatte mich praktisch einem Mann versprochen, in dessen Vergangenheit alle möglichen Geheimnisse vergraben waren. Einem Mann, der eine Waffe unter dem Kopfkissen hatte. Einem Mann, der offensichtlich gebildet war und dennoch auf einem kleinen herumreisenden Markt arbeitete - vermutlich für einen Hungerlohn.

Ich wusste nichts über ihn, rein gar nichts, und trotzdem war ich drauf und dran, mich auf etwas Ernstes mit ihm einzulassen, auf etwas Richtiges, keine unbedeutende Affäre. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete, wenn ich mein ganzes Leben auf den Kopf stellte, um mit ihm zusammen zu sein, und doch spielte ich ernsthaft mit dem Gedanken, genau das zu tun. Mein Leben zu verändern bereitete mir viel weniger Kopfzerbrechen als die Tatsache, dass ich nichts über ihn wusste und trotzdem total verrückt nach ihm war.

Vielleicht kannte ich ihn aber auch viel besser, als ich dachte. Andererseits ...womit hatte Dominic ihm am Abend unserer Ankunft gedroht? „Ein Wort von mir und du bist erledigt!“ Das hörte sich für mich so an, als hätte Dominic etwas gegen Raphael in der Hand, und offenbar scheute er sich auch nicht, damit Druck auf Raphael auszuüben.

Und das verwirrte mich nur noch mehr.

„Joy? Du hast doch nicht wieder eine Vision, oder?“

Ich lächelte matt. „Nein, ich habe nur gerade überlegt, wie lange Arielle wohl schläft.“

Roxy sah mich erstaunt an.

„Ich habe ein paar Fragen an sie“, sagte ich, nahm meine Freundin am Arm und trat mit ihr den Rückweg zum Hotel an.

„Was für Fragen?“, fragte Roxy argwöhnisch.

„Fragen über Raphael. Ich glaube, Dominic erpresst ihn, und um ihm zu helfen, müssen wir herausfinden, was sein Geheimnis ist. Ich hoffe, Arielle kann ein bisschen Licht in die Sache bringen.“ Ich legte einen Schritt zu. „Komm, wenn wir uns beeilen, können wir mit dem kanadischen Pärchen zur Punkva-Höhle fahren.“

„Du willst jetzt zu dieser Höhle? Jetzt? Wo wir einen Vampir aufspüren und einen Erpresser stellen müssen? Du liebe Zeit, das klang ja gerade wie aus einem schlechten Abenteuerroman. Hey, warte, ich habe nicht so lange Beine wie du!“

„Die Leute vom Markt schlafen bestimmt bis nachmittags und bis zur Höhle ist es nur eine halbe Stunde. Um den Vampir kümmern wir uns später. Jetzt würde ich mir wirklich gern die Höhle ansehen.“

„Okay, aber wenn wir zurück sind, erinnere mich daran, dass ich dir noch etwas sagen muss.“

Ich blieb stehen. „Was?“

Roxy spurtete an mir vorbei. „Hat mit dem Markt zu tun!“

Ich hastete hinter ihr her und wir liefen quer über die Wiese an der Zeltstadt vorbei, die allmählich zum Leben erwachte.

„Was?“, rief ich noch einmal etwas atemlos, als wir den Berg zum Hotel hocheilten.

Roxy beschleunigte ihren Schritt und rief mir noch etwas zu, aber außer „Runensteine“ konnte ich nichts verstehen.

„Was? Was ist mit den Runensteinen? Roxy, bleib doch endlich stehen und sag, was du zu sagen hast!“ Ich hatte bereits Seitenstechen und drosselte das Tempo.

Roxy hatte etwa dreißig Meter Vorsprung - dank ihrer verfluchten Joggerkondition, denn sie lief täglich fünf Kilometer, bei jedem Wetter. Sie blieb stehen, drehte sich zu mir um und legte die Hände trichterförmig um den Mund. „Runensteine!“, brüllte sie.

„Tanya sagte, du hättest es nicht drauf, und ich habe ihr widersprochen und irgendwie haben wir dann miteinander gewettet. Ich habe alles, was ich habe, auf dich gesetzt, und wenn du nicht willst, dass ich meine gesamten Ersparnisse verliere, musst du Tanyas Herausforderung annehmen. Ich habe schon alles mit Dominic besprochen - du deutest heute Abend die Runen, um zu beweisen, dass wir recht haben und sie nicht!“

Ich marschierte mit zusammengebissenen Zähnen den Hügel hinauf. Ich würde sie umbringen!

„Sieh mich nicht so an! Ich konnte doch nicht zulassen, dass sie schlecht über dich redet. Sie hat alle möglichen Gemeinheiten von sich gegeben. Es sind doch nur ein paar kleine Deutungen, das schüttelst du doch so aus dem Ärmel! Und dann ... na ja, Dominic sagte, er würde dir liebend gern die Stelle der Runendeuterin anbieten, wenn du dich dem Markt anschließen möchtest.“

Ich hielt mir die Seite und versuchte, die stechenden Schmerzen zu ignorieren. Ich würde sie wirklich und wahrhaftig umbringen!

„Ich meine, er hat natürlich auch verlangt, dass du dann seine Gefährtin wirst und so weiter, aber ich würde sagen, dieser Teil ist optional. Darüber kannst du bei Vertragsabschluss bestimmt noch verhandeln.“

„Du bist tot!“, brüllte ich.

Roxy winkte mir zu, machte auf dem Absatz kehrt und raste wie Speedy Gonzales den restlichen Berg hoch.

„Ich werde dich nämlich eigenhändig umbringen!“

„Beeil dich lieber, sonst verpasst du die Kanadier!“, rief sie, als sie das Hotel erreichte. „Meinst du, es ist zu spät, um den Einsatz zu verdoppeln? Wir könnten richtig absahnen!“

„Mach dein Testament, bevor es zu spät ist!“, schrie ich.

„Ich überlege, ob ich dem Hotelbesitzer raten soll, eine Zusatzversicherung abzuschließen - falls Miranda recht damit hat, dass du Naturkatastrophen heraufbeschwörst!“

Ich stapfte grimmig lächelnd weiter und überlegte, ob es in Tschechien für den Mord an einer amerikanischen Touristin wohl die Todesstrafe gab.

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